Gastbeitrag im Boten:
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Trent(piep):
Aufgrund einer Verlosungsaktion für Sammelkarten kommt es derzeit in Trent zu Engpässen in der Versorgung mit Grundstoffen. Zahlreiche StadtbewohnerInnen verbringen ihre Zeit mit der Suche nach und dem Sammeln von allseits beliebten Sammelkärtchen, die es derzeit im Überfluss zu geben scheint. Durch das inflationäre Aufkommen der Sammelkarten drohen diese nun, im Wert zu sinken, während die Alltagsgebrauchsgegenstände momentan Spitzenpreise erzielen.
Der Bote sprach zu diesem Thema mit der nicht unumstrittenen Verhaltensforscherin
Dipl.mensch Miss Anthropp.

Bote:
Miss Anthropp, wir beobachten zur Zeit ein eigenartiges Produktionsverhalten der Bürger von Simkea. Zu Hunderten werden selten benötigte Waren oder nutzlose Prestigeobjekte angeboten, deren Abnutzung sicher noch viele Monate dauern wird. Hingegen stellen wir eine beängstigende Rohstoff- und Produktionsknappheit in einigen elementar wichtigen Berufszeigen fest. Wie erklären Sie dieses Verhalten der Simkeaner?

Miss Anthropp:
Ich sach ma so: Den Leuten jeht et einfach zu jut. Die han dat nimmer nötisch, sisch um en Butterbrot ze kümmere.
Se müssen sisch dat so vorstellen. Et jibt hier unbejrenzte Lagerfläschen. Je länger de Leute im Spiel sin, umso mehr Tinnef tut sisch da ansammle, wenn Se verstehn, wat isch meine. Und weil der Simkeaner an un für sisch en freundlischen Mensch sein will, oder Dämon oder wat auch immer, da nimmt der manschmal auch Sache in sein Lager, die der jarnit braucht. Et wird ja nix schlescht.
Un da kann et schommal sin, dat so einer Hundertfuffzisch kalte Kotletts in de Eck zu liegen hät und noch 3 Fässer Bier nebenbei. Da könnte der ´ne rischtije Sause von veranstalten. Macht er aber nit. Der behält dat lieber für schleschte Zeiten für sisch selbst un sine Fründe. Nur, um en Beispiel ze nennen, damit se wissen, wat isch meine.
Da kommt den durschnittlischen Trenttouristen jar nit dran.
Dat sin in Notzeiten jut behütete Schätze, die man nisch leischtfertisch für ene Handvoll Heller unters Volk schmeisst, wenn Se verstehn, wat isch meine.
Dat is die Notreserve für elitäre Kreise. Da jeht man sorgfältisch mit um.
Un deswegen sitzen de einen wie die Maden im Speck und die andern ham nix zu beißen oder sin arbeitslos, weil et keine Rostoffe ze kaufen jibt.
Und da red isch nisch von Rosmarin oder so en überkandidelten Tünneff, sondern von zum Beispiel Garn. Oder Leder. Ohne geht hier jarnix.
Da stehen janze Produktionsketten still, weil bestimmte Leute lieber spazieren gehn oder janze Wälder kleinsägen und hinterher auf Halde legen. Und plötzlisch rennt halb Trent in Strohpantoffeln durch de Gegend oder humpelt fußkrank von eine Zange zur nächsten.
So einfach is dat.

Bote:
Könnten Sie das bitte etwas genauer erklären?

Miss Anthropp:
Ja klar. Deswejen bin isch ja hier als Expärtin jeladen, oder?
Isch will jetz nisch direkt von Mafia spreschen.
Sagen wir mal lieber, et is wie ene jroße Familie.
Da passt den einen auf den andern auf und man tut sich jejenseitisch helfen, wenn ma Not am Mann is. Oder an de Frau. Oder Dämon. Suchen se sisch wat aus. Mir ham hier allet.
Die glucken alle zesammen unter eine Decke und schieben sisch die knappen Waren hin und her, jrad wie se et brauchen. Dat jeht allet anne Steuer und am freien Markt vorbei und wird unter de Hand verschoben. Mit dene ihre Sammelkarten is dat nisch anders. Am Ende ham alle wat davon, wenn jeder seinen Job erledischt.
Se müsse sisch dat so vorstellen:
Nehmen wir mal an, et gibt en Clübschen, dat allet, wat man so zum Leben jebraucht, selbst herstellen und untereinander verschieben kann. Dat beste für et Clübschen is natürlisch, wenn jetz jeder dat macht, wat er am besten kann. Dann sin die Verluste dursch Fehlproduktionen am Jeringsten, wenn se verstehn, wat isch meine. Und danach wird unterenander jetauscht. Komplett vorbei an Marktpreis und sämtlische Kursschwankungen.
Wat den Club zesammen erwirtschaftet, kommt jar nisch erst auf en Markt und alle sin immer jut bedient. Dat is en Mikrokosmos, der sisch selbst jenüüscht.
Wer dabei is, den erkennen se früher oder später an seine intakten Lederschuhe.

Bote:
Aber in Ihrem geschlossenen Tauschwaren-Wirtschaftskreislauf fehlt doch das Geld. Woher kommen diese Kreise denn an Bargeld?

Miss Anthropp:
Über Jeld redet man nisch. Man hat et, oder man hat et nisch. Und et kommt ja auch jeden Tach wat dazu, ohne dat man wat dafür tun muss.
Und jetz denken se noch mal janz scharf nach. Wat braucht man denn eijentlisch Jeld, wenn man allet unterenander tauschen kann?
Se müssen sisch so en Handels- und Produktionsclub vorstellen, wie ene Kolchose.
Dat is eijentlich Kommunismus in Reinkultur, aber in ein kapitalistischet System einjebettet.
Et jibt im Prinziep jar kein Privateigentum in solsche Clubs. Alle schmeissen allet in einen jroßen Pott und am Ende jewinnt der Club immer mehr an Wert und damit wird jeder Einzelne automatisch mit reisch. Man sieht et nur nisch unbedingt aum Konto. Oder nur auf janz wenigen. Dat is dann dat jesammelte Bargelddepot von so einen Club.
Machense sisch mal frei von ihre kapitalistischen Weltbilder.
Die wahren Schätze lagern nisch als Zahl auf irjendeine ominöse Bank, sondern als riesige Rohstoffvorkommen in den Lagern von Simkea, auf die nur ausgewählte Personenkreise Zujriff haben. Fröher hiess et: Nur Bares is Wahres. Heute simmer soweit, dat wir jar kein Jeld mehr brauche, sondern einfach allet für schleschte Zeiten einlagern. Et gibt ja keine Miete oder Zinsen.
Stelln se sisch dat ma vor. Dat is quasi wie dat Paradies.
Der Haken bei der Sache is: Se kommen da nur rein, wenn se vorher unabhängisch sin un dat dann aufjeben. Se müssen et also vorher schon zu wat jebracht haben.
Oder Se kommen da als kleinet Nümmerken rein und haben sisch sofort mit Haut und Haar an den Club verkauft. Dann isset nisch mehr weit mit ihre Autonomie. Dann tun Se, wat man von Ihne verlangt und nisch unbedingt, wat se wolln.

Bote:
Aber ist ein solches Spielverhalten denn nicht ungerecht gegenüber anderen Spielern? Insbesondere den Neulingen?

Miss Anthropp:
Jereschtischkeit. Dat is ene feine Frage. Wat is dat überhaupt?
Wer hat sisch dat eijentlisch ausgedacht, diese Jereschtischkeit?
Dat waren doch bestimmt die, wo nix hatten, weil se neidisch waren auf dat, wat die andern hatten.
Neid iss dat. Nur wejen Neid wurde et Mode, ze teilen. Damit dat arme Fußvolk keinen Aufstand probt, schmeisst man et ab un zu mal´n Brocken hin. Dann sin die dankbar und halten de Klappe.
Un dat nennt man dann Jereschtichkeit.
Wenn man immer allet mit alle andern teilen tut, dann bringt et ja gar nix, wenn man wat besser kann, als andere. Da müssen se schon aufpassen, wen se zum Teilen einladen.
Fragen se mal die Mitglieder in so einen Club, ob se wohl wat falsch machen und wie se sisch selbst finden. Und dann stellnse janz schnell fest, dat die dat rischtisch pfiffich finden, wat die da tun. Als ob dat jenau so jedacht jewesen wäre. Und jetz ma Hand aufs Herz: Isset dat nich eigentlisch auch?
Wie Se dat finden, kommt nur drauf an, ob se dazujehörn oder nisch.
Sin Se dabei, isset jot. Sin Se nisch dabei, dann isset unjerescht.
So ene Mitgliedschaft in – isch nenn et mal Tauschclub – is ja manschmal die Frucht jahrelanger Arbeit. Se müssen ja erstmal wat können, eh dat se aufjenommen werden. Sonst hat den Club ja nix davon.
Da heisst et schaffe, schaffe, schaffe. Un immer allet für den Club.
„Dabei sein is allet“ war jestern.
Wer mit die jroßen Jungs spielen will, muss heute auch ma die Backen zesammenkneifen, wenn se verstehn, wat isch meine.

Bote:
Danke für Ihre Einschätzung. Leider fällt es nicht sehr leicht, Ihre Ausführungen mit Wohlwollen zu betrachten.

Miss Anthropp [i](unterbricht den Reporter unwirsch)[/i]:
Wohlwollen? Wat wolln sie denn jetz?
Wollnse die Welt erklärt kriegen oder soll isch lieber mit´n Popo wackeln?
Wenn Se Wohlwollen wollen, müssen se keine unpopuläre Fragen stellen.
Oder jemand einladen, der wat von Wohlwollen versteht.
Se reden hier mit eine professionelle Menschenkennerin von Weltformat!
Wat weiss isch denn von Wohlwollen?
Also ehrlisch.
Als ob isch nix besseret ze tun hätte, als bei ihre Leser Wohlwollen erzeujen.
Unsereins muss sisch hier allet hart erkämpfen.
Und zwar jeden Tach!
So sieht et nämlisch aus!
Wat du selbst haben wills, dat darfs du nich an andere abgeben.
Und wenn, dann muss du et so teuer verkaufen, dat du hinterher mehr has als wie vorher.
Und wenn du nix anzebieten has, dann verkaufse disch halt selbst.
Und jetz kommen Sie misch hier mit Wohlwollen?
Wolln Se jetz auch noch´n Keks zum Abschied und en Bützsche links un reschts, oder wat?
Oder soll isch misch vielleischt kurz aufhübschen, damit Se sisch janz wohlwollend ma wieder rischtisch sattsehn können?
Dat vergessen Se ma janz schnell wieder.
Wohlwollen – Wenn isch sowat schon höre.
Merken Se sisch ma eins: Dat Leben is kein Ponyhof.
Hier jenau so wenisch wie woanders.
Dat könn´ Se in Ihr Käseblatt reinschreiben.
Und jetz mach die Tür zu, du Möschtejernweltverbesserer.
Und zwar von draussen.
Aber leise.
Damit machse Wohlwollen bei misch.
Dat geht ruckzuck und kost´disch nix.
Also Tschö, mit Ö.
Bäh, wat hab isch euch schowinistische Hormonschleudern jefressen.
Kerle. Alle in einen Sack und immer mit´n Knüppel drauf.
Triffs immer den Richtijen.
Un jetz raus, isch hab Wischtijeret ze tun als Wohlwollen ze erzeujen.
Schweinebraten zum Beispiel.

Dieses Interview wurde vom Gastreporter Piepentons geführt. Der Inhalt dieses Beitrags spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.

(Piepentons)

This entry was posted on Dienstag, Juni 14th, 2016 at 09:53 and is filed under Geschichten, Gedichte und Musikalisches. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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