Archiv für Sparte ‘Geschichten, Gedichte und Musikalisches’

Monatelang lungerten zwei gelbe Tschätts direkt vor meiner Haustüre herum. Jeden Morgen musste ich an ihnen vorbeigehen. Erst guckten wir uns nur misstrauisch an, nach und nach wurde daraus ein kurzes Nicken und langsam ein freundlicher Gruß. Kurz und gut: Torben und Terpen wurden mir mit der Zeit immer vertrauter, und am Ende gab es einen täglichen kurzen Schwatz vor der Haustüre. Tschätts haben eine ausgesprochen große Verwandtschaft, um nicht zu sagen: Sippschaft. Mir war es schier unmöglich, die unzähligen Basen, Großbasen, Onkel, Schwipponkel und andere Verwandtschaftsgrade, von denen die Rede war, zu behalten. Auch mir zu merken, welch Base – ob Tullipa oder Tellpia – das Rezept für den Festtagskuchen für Großmutter Talas 100. Geburtstag verlegt hatte, war mir nicht gegeben. Trotzdem war es sehr unterhaltsam von Torben und Terpen, die übrigens Zwillinge waren, die verschiedenen Geschichten über ihre Sippe zu hören. Sie waren übrigens echte Zwillinge, wie sie mehrfach betonten. Unter Menschen und anderen Nicht-Tschätts würde die Überzeugung bestehen, alle Angehörige dieser Spezies sähen gleich aus, wie identische Mehrlinge. Nur die Farbe der verschiedenen Familienzweige sei unterscheidbar. Für das ungeübte Auge mag das auch so sein, aber mit der Zeit konnte ich sogar bei den Zwillingen kleine, winzige Unterschiede wahrnehmen. So hatten Torbens Augen einen winzigen Gelbstich mehr als die von Terpen. Und Terpens Stirnhaare sahen um ein weniges buschiger aus als die des Bruders. Als ich meine Beobachtungen über ihre Unterschiede äußerte, waren beide jeweils auf das Äußerste davon angetan. Ob sie sich darüber freuten, kleine individuelle Merkmale zu besitzen, oder ob intensivere Farbigkeit der Augen und üppiger Haarwuchs eine besondere Wertschätzung im Wertesystem von Tschätts erhalten, das habe ich nicht von ihnen erfahren. Ich könnte euch noch viele der kleinen Familiengeschichten der Tschätts erzählen, doch worauf ich hinaus möchte, ist etwas ganz anderes.
Heute komme ich aus meiner Haustüre, schaue in den strahlend blauen Frühlingshimmel und dann in die gewohnte Ecke mit meinen echten Tschättzwillingen. Und was soll ich euch sagen? Die Ecke ist zwar nicht leer, wie ihr vielleicht befürchtet haben könntet, aber nur Terpen steht dort mit hängenden Schultern und einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Rasch trete ich zu ihm und frage nach seinem Befinden und dem Verbleib von Torben. Wie es die Art von Tschätts ist, plappert Terpen weitausholend los. Nur eine halbe Stunde später habe ich erfahren, was mit Torben geschehen ist. Ein simkeanisches Wesen hatte sich den Zwillingen genähert und wollte mit ihnen kämpfen. Terpen und Torben hatten noch nie einen Kampf ausgefochten und waren darum etwas erschrocken über diesen Vorschlag. Wieso kämpfen, wenn man doch hier so gemütlich und entspannt vor dieser schönen Häuserzeile abhängen konnte? Das Wesen wollte aber nicht auf den Kampf verzichten und Tschätts sind durch irgendwelche Verträge mit der simkeanischen Obrigkeit dazu verpflichtet, auf Verlangen Kampfhandlungen auszuführen. Die Zwillinge spielten einen Partie Schnick-Schnack-Schnuck, um auszuwählen, wer von ihnen den Kampf bestreiten sollte, die Wahl fiel – wie ihr schon wisst – auf Torben. In diesem Moment bildete sich ein dichter Nebel um Torben und den simkeanischen Kämpfer, der jede Sicht auf das Geschehen verhinderte. Terpen wurde von Schreck erfasst und wollte in den Nebel hinein, um seinen Bruder und den anderen Kämpfer sehen zu können. Dabei wurden seine Sinne so vernebelt, dass er in Ohnmacht fiel. Er hörte nur noch einige dumpfe Schläge, bevor ihm alle Sinne schwanden. Als er wieder erwachte, war sein Bruder und auch der Angreifer verschwunden. Auch Terpens Erinnerung an das Aussehen des simkeanischen Kämpfers war vollkommen ausgelöscht. In diesem Zustand fand ich ihn heute Morgen, leicht aus der Fassung gebracht, vor.
„Ninawe“, beginnt Terpen zaghaft, „ich brauche deine Hilfe. Ich muss meinen Bruder finden.“ Terpen hat mich bisher selten mit meinem Namen angesprochen. Tschätts finden es anstößig, einen Namen auszusprechen, der nicht – nach guter alter Sitte – mit dem Laut T beginnt. Es ist also ein Zeichen höchster Not, wenn er mich so anredet. Ich schaue Terpen in die Augen und warte ab, was er zu sagen hat. Er macht eine lange Pause bevor er weiterspricht. „Ich habe überhaupt keine Erinnerung. Der Kampf begann so plötzlich. Der Nebel kam aus dem Nichts. Mein Bruder verschwand ins Nichts. Es gibt Gerüchte bei uns Jungen darüber, was nach einem Kampf geschieht. Es soll einen heilenden Ort geben. Dorthin geht man angeblich. Die Alten schweigen darüber. Ich muss diesen Ort finden. Ich muss Torben finden.“ Ein merkwürdiger feuchter, gelb glänzender Schimmer tritt in Terpens Augen. Ich traue meinen Augen nicht, die Zwillinge hatten mir immer versichert, dass kein Tschätt weint. Die Stimme von Terpen klingt ganz dünn und hoch. „Niemals waren wir getrennt. Das Elend aller Molche ist in mir.“ Bei diesem Ausdruck erstarre ich innerlich, „das Elend aller Molche“ ist ein Ausdruck allergrößter Qual bei den Tschätts. Wie soll ich Terpen denn bloß helfen? Der Tschätt sieht mir meine Ratlosigkeit wohl an. Er spricht mit zittriger Stimme: „Du musst mit mir kämpfen, bitte! Nur so kann auch ich an den Ort gelangen, wo Torben ist und ihn hoffentlich wieder nach Hause bringen.“ Mir steht der Mund offen, ich ziehe die Augenbrauen zusammen und meine Stirnfalte vertieft sich. Als mir der Gedankengang langsam einleuchtet, glätten sich meine Gesichtszüge wieder. „Bist du dir ganz sicher, Terpen?“, frage ich vorsichtig nach. Der Kopf des Tschätts nickt heftig und dabei fallen kleine feuchte Tropfen auf sein gelbes Fell. Ich räuspere mich, während mir viele Gedanken im Kopf herumwirbeln: der Schmerz von Terpen über das Verschwinden von Torben; die Frage, ob Terpens Vorhaben gelingen wird; mein bevorstehender Kampf mit ihm, wo ich doch überhaupt nicht gerne kämpfe, schon gar nicht gegen einen Freund. Denn als Freunde betrachte ich die Zwillinge inzwischen. Als ich seine Entschlossenheit erkenne, durch den Kampf zu seinem Bruder zu gelangen, füge ich mich seinem Wunsch. Ich suche meine Ausrüstung zusammen, ziehe die geflickte Lederrüstung an und nehme mein Holzschwert fest in die Hand. Ich verbeuge mich leicht vor dem Tschätt, Worte fallen mir keine ein. Terpen geht es anscheinend genauso. Dann beginnt der Kampf. Terpens ersten Schlag kann ich geschickt parieren und treffe ihn heftig. Seine Augen weiten sich, als er seine Verletzung spürt. Aber er nickt mir bestätigend zu, dass wir den Kampf fortführen sollen. Direkt nach meinem zweiten Schlag löst Terpen sich in Luft auf! Ich atme keuchend aus. Mein zweiter Freund ist auch fort, ich stehe mit hängenden Armen an der Straßenecke. Seitdem schaue ich jedem Tschätt, den ich in den Gassen Trents begegne, tief in die Augen, ob es einer meiner Freunde ist.

(Ninawe)

Wir waren bei den Hühnern und plötzlich flog aus Drakes Weidenkorb alles mögliche heraus:
Taschentuch, der Stoff, mit dem ich den Korb gepolstert hatte, Moos, ein altes Brötchen, sein Tigerauge. Dann kippte er den Korb um und bat mich, ihn auszuklopfen. „Hihi, das Brötchen hab ich gesucht“, meinte er. „Das ist nun alt und hart, Drake.“
Ich räumte seinen Korb wieder ein, schüttelte vorher alles aus, und Drake zog zum Teich, tunkte das Brötchen kurz ein und toastete es dann. „Wie frisch“, erklärte er und knusperte es auf.
„Nun ja, so konnte man es auch machen“, murmelte ich und grinste dann.

(Lady Sharina)

Ein neues Buch, ein neues Jahr
Was werden die Tage bringen?
Wird’s werden, wie’s immer war
Halb scheitern, halb gelingen?

Theodor Fontane (1819 – 1898)

(Lady Sharina)

 

Heute tritt zunehmend Hysterie anstelle von Bildung.

Stefan Rogal (*1965), Autor, Herausgeber und Kolumnist

(Lady Sharina)

Ich steh bei den Kühen und bin beim melken. Da kommt Drake an, läßt sich auf der Kuh nieder, pitzenass und schüttelt sich. Die Kuh muht empört. Und ich frag den Kleinen warum er so nass ist.
„Mami, ich bin untergegangen! Blub,blub.“ Er nickt empört. “

„Nanu?“ Drake blickt genervt zum Entensee. „Die schwimmen auf dem Wasser, warum kann ich das nicht? Das ist gemein, Mami.“

„Nun die haben Federn, du nicht.“ Drake legt den Kopf schief.“Und was hat das damit zu tun?“ Ich winke ihm und geh zum Entensee.

„Schau, die putzen sich.“ Der Kleine maulte das die sich doch dauernd putzen.
„Richtig, und beim Putzen fetten sie ihre Federn ein und es bildet sich ein Luftpolster. Deshalb können die auf dem Wasser schwimmen und du nicht.“ Ich ging wieder zu meiner Arbeit und Drake blieb nachdenklich beim See.

(Lady Sharina)

Nach dem Aufräumen sieht es aus wie vor dem Aufräumen; es liegen nur einige Stunden dazwischen.

Beate Milewski (*1986)

(Lady Sharina)