Archiv für Sparte ‘Geschichten, Gedichte und Musikalisches’

Heute einen musikalischen Beitrag unseres neuen Mitbürgers Melvinus

Das Lied von der Hacke
(zwergisches Kulturgut)

Die Hacke trifft den Stein​
bis dass der Stein zerbricht,
das Erz das ist nun mein,
Die Hacke trifft den Stein

Ein Schritt folgt auf den Schritt
Nach Trent geht jetzt die Reise
Das Erz nehme ich mit
ein Schritt folgt auf den Schritt

Der Ofen wird entfacht
Mit Feuerstein und Zunder
schon bald das Feuer lacht
der Ofen wird entfacht

Geschmolzen wird das Erz
ein Barren wird geformt
vor Freude hüpft mein Herz
geschmolzen wird das Erz

Gesägt wird dann das Holz
am schwerem Sägebock
ein Brett der ganze Stolz
gesägt wird dann das Holz

Gehobelt an der Bank
wird dann der feste Griff
kein Splitter, sondern blank
gehobelt an der Bank

Mit kräftigem Hammerschlag
geschmiedet wird das Eisen
den ganzen langen Tag
mit kräftigem Hammerschlag

Die Klinge und der Griff
ergeben eine Hacke
nun noch der letzte Schliff
die Klinge und der Griff

Die Hacke trifft den Stein​
bis dass der Stein zerbricht,
das Erz das ist nun mein,
Die Hacke trifft den Stein

(Melvinus)

Monatelang lungerten zwei gelbe Tschätts direkt vor meiner Haustüre herum. Jeden Morgen musste ich an ihnen vorbeigehen. Erst guckten wir uns nur misstrauisch an, nach und nach wurde daraus ein kurzes Nicken und langsam ein freundlicher Gruß. Kurz und gut: Torben und Terpen wurden mir mit der Zeit immer vertrauter, und am Ende gab es einen täglichen kurzen Schwatz vor der Haustüre. Tschätts haben eine ausgesprochen große Verwandtschaft, um nicht zu sagen: Sippschaft. Mir war es schier unmöglich, die unzähligen Basen, Großbasen, Onkel, Schwipponkel und andere Verwandtschaftsgrade, von denen die Rede war, zu behalten. Auch mir zu merken, welch Base – ob Tullipa oder Tellpia – das Rezept für den Festtagskuchen für Großmutter Talas 100. Geburtstag verlegt hatte, war mir nicht gegeben. Trotzdem war es sehr unterhaltsam von Torben und Terpen, die übrigens Zwillinge waren, die verschiedenen Geschichten über ihre Sippe zu hören. Sie waren übrigens echte Zwillinge, wie sie mehrfach betonten. Unter Menschen und anderen Nicht-Tschätts würde die Überzeugung bestehen, alle Angehörige dieser Spezies sähen gleich aus, wie identische Mehrlinge. Nur die Farbe der verschiedenen Familienzweige sei unterscheidbar. Für das ungeübte Auge mag das auch so sein, aber mit der Zeit konnte ich sogar bei den Zwillingen kleine, winzige Unterschiede wahrnehmen. So hatten Torbens Augen einen winzigen Gelbstich mehr als die von Terpen. Und Terpens Stirnhaare sahen um ein weniges buschiger aus als die des Bruders. Als ich meine Beobachtungen über ihre Unterschiede äußerte, waren beide jeweils auf das Äußerste davon angetan. Ob sie sich darüber freuten, kleine individuelle Merkmale zu besitzen, oder ob intensivere Farbigkeit der Augen und üppiger Haarwuchs eine besondere Wertschätzung im Wertesystem von Tschätts erhalten, das habe ich nicht von ihnen erfahren. Ich könnte euch noch viele der kleinen Familiengeschichten der Tschätts erzählen, doch worauf ich hinaus möchte, ist etwas ganz anderes.
Heute komme ich aus meiner Haustüre, schaue in den strahlend blauen Frühlingshimmel und dann in die gewohnte Ecke mit meinen echten Tschättzwillingen. Und was soll ich euch sagen? Die Ecke ist zwar nicht leer, wie ihr vielleicht befürchtet haben könntet, aber nur Terpen steht dort mit hängenden Schultern und einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Rasch trete ich zu ihm und frage nach seinem Befinden und dem Verbleib von Torben. Wie es die Art von Tschätts ist, plappert Terpen weitausholend los. Nur eine halbe Stunde später habe ich erfahren, was mit Torben geschehen ist. Ein simkeanisches Wesen hatte sich den Zwillingen genähert und wollte mit ihnen kämpfen. Terpen und Torben hatten noch nie einen Kampf ausgefochten und waren darum etwas erschrocken über diesen Vorschlag. Wieso kämpfen, wenn man doch hier so gemütlich und entspannt vor dieser schönen Häuserzeile abhängen konnte? Das Wesen wollte aber nicht auf den Kampf verzichten und Tschätts sind durch irgendwelche Verträge mit der simkeanischen Obrigkeit dazu verpflichtet, auf Verlangen Kampfhandlungen auszuführen. Die Zwillinge spielten einen Partie Schnick-Schnack-Schnuck, um auszuwählen, wer von ihnen den Kampf bestreiten sollte, die Wahl fiel – wie ihr schon wisst – auf Torben. In diesem Moment bildete sich ein dichter Nebel um Torben und den simkeanischen Kämpfer, der jede Sicht auf das Geschehen verhinderte. Terpen wurde von Schreck erfasst und wollte in den Nebel hinein, um seinen Bruder und den anderen Kämpfer sehen zu können. Dabei wurden seine Sinne so vernebelt, dass er in Ohnmacht fiel. Er hörte nur noch einige dumpfe Schläge, bevor ihm alle Sinne schwanden. Als er wieder erwachte, war sein Bruder und auch der Angreifer verschwunden. Auch Terpens Erinnerung an das Aussehen des simkeanischen Kämpfers war vollkommen ausgelöscht. In diesem Zustand fand ich ihn heute Morgen, leicht aus der Fassung gebracht, vor.
„Ninawe“, beginnt Terpen zaghaft, „ich brauche deine Hilfe. Ich muss meinen Bruder finden.“ Terpen hat mich bisher selten mit meinem Namen angesprochen. Tschätts finden es anstößig, einen Namen auszusprechen, der nicht – nach guter alter Sitte – mit dem Laut T beginnt. Es ist also ein Zeichen höchster Not, wenn er mich so anredet. Ich schaue Terpen in die Augen und warte ab, was er zu sagen hat. Er macht eine lange Pause bevor er weiterspricht. „Ich habe überhaupt keine Erinnerung. Der Kampf begann so plötzlich. Der Nebel kam aus dem Nichts. Mein Bruder verschwand ins Nichts. Es gibt Gerüchte bei uns Jungen darüber, was nach einem Kampf geschieht. Es soll einen heilenden Ort geben. Dorthin geht man angeblich. Die Alten schweigen darüber. Ich muss diesen Ort finden. Ich muss Torben finden.“ Ein merkwürdiger feuchter, gelb glänzender Schimmer tritt in Terpens Augen. Ich traue meinen Augen nicht, die Zwillinge hatten mir immer versichert, dass kein Tschätt weint. Die Stimme von Terpen klingt ganz dünn und hoch. „Niemals waren wir getrennt. Das Elend aller Molche ist in mir.“ Bei diesem Ausdruck erstarre ich innerlich, „das Elend aller Molche“ ist ein Ausdruck allergrößter Qual bei den Tschätts. Wie soll ich Terpen denn bloß helfen? Der Tschätt sieht mir meine Ratlosigkeit wohl an. Er spricht mit zittriger Stimme: „Du musst mit mir kämpfen, bitte! Nur so kann auch ich an den Ort gelangen, wo Torben ist und ihn hoffentlich wieder nach Hause bringen.“ Mir steht der Mund offen, ich ziehe die Augenbrauen zusammen und meine Stirnfalte vertieft sich. Als mir der Gedankengang langsam einleuchtet, glätten sich meine Gesichtszüge wieder. „Bist du dir ganz sicher, Terpen?“, frage ich vorsichtig nach. Der Kopf des Tschätts nickt heftig und dabei fallen kleine feuchte Tropfen auf sein gelbes Fell. Ich räuspere mich, während mir viele Gedanken im Kopf herumwirbeln: der Schmerz von Terpen über das Verschwinden von Torben; die Frage, ob Terpens Vorhaben gelingen wird; mein bevorstehender Kampf mit ihm, wo ich doch überhaupt nicht gerne kämpfe, schon gar nicht gegen einen Freund. Denn als Freunde betrachte ich die Zwillinge inzwischen. Als ich seine Entschlossenheit erkenne, durch den Kampf zu seinem Bruder zu gelangen, füge ich mich seinem Wunsch. Ich suche meine Ausrüstung zusammen, ziehe die geflickte Lederrüstung an und nehme mein Holzschwert fest in die Hand. Ich verbeuge mich leicht vor dem Tschätt, Worte fallen mir keine ein. Terpen geht es anscheinend genauso. Dann beginnt der Kampf. Terpens ersten Schlag kann ich geschickt parieren und treffe ihn heftig. Seine Augen weiten sich, als er seine Verletzung spürt. Aber er nickt mir bestätigend zu, dass wir den Kampf fortführen sollen. Direkt nach meinem zweiten Schlag löst Terpen sich in Luft auf! Ich atme keuchend aus. Mein zweiter Freund ist auch fort, ich stehe mit hängenden Armen an der Straßenecke. Seitdem schaue ich jedem Tschätt, den ich in den Gassen Trents begegne, tief in die Augen, ob es einer meiner Freunde ist.

(Ninawe)

Wir waren bei den Hühnern und plötzlich flog aus Drakes Weidenkorb alles mögliche heraus:
Taschentuch, der Stoff, mit dem ich den Korb gepolstert hatte, Moos, ein altes Brötchen, sein Tigerauge. Dann kippte er den Korb um und bat mich, ihn auszuklopfen. „Hihi, das Brötchen hab ich gesucht“, meinte er. „Das ist nun alt und hart, Drake.“
Ich räumte seinen Korb wieder ein, schüttelte vorher alles aus, und Drake zog zum Teich, tunkte das Brötchen kurz ein und toastete es dann. „Wie frisch“, erklärte er und knusperte es auf.
„Nun ja, so konnte man es auch machen“, murmelte ich und grinste dann.

(Lady Sharina)

Ein neues Buch, ein neues Jahr
Was werden die Tage bringen?
Wird’s werden, wie’s immer war
Halb scheitern, halb gelingen?

Theodor Fontane (1819 – 1898)

(Lady Sharina)

 

Heute tritt zunehmend Hysterie anstelle von Bildung.

Stefan Rogal (*1965), Autor, Herausgeber und Kolumnist

(Lady Sharina)

Ich steh bei den Kühen und bin beim melken. Da kommt Drake an, läßt sich auf der Kuh nieder, pitzenass und schüttelt sich. Die Kuh muht empört. Und ich frag den Kleinen warum er so nass ist.
„Mami, ich bin untergegangen! Blub,blub.“ Er nickt empört. “

„Nanu?“ Drake blickt genervt zum Entensee. „Die schwimmen auf dem Wasser, warum kann ich das nicht? Das ist gemein, Mami.“

„Nun die haben Federn, du nicht.“ Drake legt den Kopf schief.“Und was hat das damit zu tun?“ Ich winke ihm und geh zum Entensee.

„Schau, die putzen sich.“ Der Kleine maulte das die sich doch dauernd putzen.
„Richtig, und beim Putzen fetten sie ihre Federn ein und es bildet sich ein Luftpolster. Deshalb können die auf dem Wasser schwimmen und du nicht.“ Ich ging wieder zu meiner Arbeit und Drake blieb nachdenklich beim See.

(Lady Sharina)

Nach dem Aufräumen sieht es aus wie vor dem Aufräumen; es liegen nur einige Stunden dazwischen.

Beate Milewski (*1986)

(Lady Sharina)

Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch das Blätterdach des Dämmerwaldes und zaubern komplizierte Muster auf den moosigen Boden. Ein übermütiges Eichhornpärchen jagt einander rund um den Stamm einer alten Eiche, kurz von einer Eule taxiert, die sich dann aber doch für die wohlverdiente Tagesruhe statt für den keckernden Snack entscheidet.

Doch was ist das? Auf dem verschlungenen Pfad, der aus den überschaubaren Ebenen des Umlandes in den Wald hineinführt ist ein überaus seltsames Wesen erschienen. Wenig größer als ein Rehkitz, von schmaler Statur, umspielt von einem wildgelockten, rotbraunen Haarbusch tritt die seltsame Besucherin in den kühlen, grünen Dom. Schnuppernd hält sie ihre sommersprossige Stupsnase in die Luft, schaut sich aufmerksam nach Spuren um. Was hat sie denn da in der Hand? Einen riesigen, spitzen Stock? Es ist eine Pike, bestimmt drei- oder viermal so lang wie sie selbst hoch ist, bewehrt mit einer mörderisch anmutenden Metallspitze.

Das, was dort so schwer bewaffnet in zu großen Stiefeln und über und über behangen mit Tränken und Ausrüstungsgegenständen die Ruhe des Forstes stört, hat einen Namen: Petra Fakt.

Petra Fakt? Ja, soll das denn ein Name sein? „Petrefakt“ sagt in irgendeiner fremdländischen, portaljenseitigen Sprache „aus Stein gemacht“. Ist denn diese junge Dame aus Stein gemacht? Natürlich nicht und dem Betrachter erscheint die Metapher angesichts ihrer mädchenhaften Erscheinung unpassend.

Doch still! Was ist das? Was bewegt sich da lautlos und geckoflink in den Schatten? Was späht aus gelben Katzenaugen durch dichtes Buschwerk? Als sich rund um Petra sehnige muskulöse, waldschattengrüne Körper erheben, wissen wir: Goblins!

Goblins – die eigentlichen Herrscher des Dämmerwaldes. Nichts von dem, was man über sie berichtet, läßt hoffen, dass wir mehr als Knochen und Kleidungsfetzen von Petra wiedersehen werden. Zur Flucht besteht keine Chance, denn die grünen Gesellen bilden jetzt einen dichten Ring um die kleine Pikenträgerin.

„PETRAAAA“ preßt die größte und massivste Gestalt knurrend hervor. Krude Ritzungen auf den wulstigen Bizepsen, Trizepsen und Quizepsen berichten von erfolgreichen Wildschweinjagden, siegreichen Kämpfen und dem schamlosen Treiben der Goblingötter.

„Gisela“ antwortet Petra fröhlich. „Wie gehts denn so?“

„ES GEHT GUT!“ knurrt die Goblin-Anführerin zurück. „MUSS JA!“

„Wen hast Du denn heute dabei?“ Petra schaut sich um. „Bernd, Uschi, Jürgen! Ihr habt aber auch nie frei, was?“ Die Angesprochenen winken kichernd ab.

„Also, ich hab heute folgende Bestellungen …“ Petra liest aus ihrem Notizbuch ab. „soundsoviel Graphiterz, ein paar Würfel wären nett, hat jemand alte Blechdosen?“ Sie kramt in ihrem Rucksack „Und hier die versprochenen Gummibären – ihr dürft das wirklich nicht übertreiben, die extragehärtete Hornhautfeile für Uschi, Bernd, dein Magazin „Der kleine Hobbyschnitzer“, für Gisela, Moment, ein Spinnenseidennegligé und ein Banjo für Pascal. Kann jemand das Banjo für Pascal mitnehmen? Und dann noch …“

Nachdem alle Mitbringsel verteilt sind, setzt sich die ungewöhnliche Gruppe um ein Feuerchen und Petra grillt Tofuwürste für alle auf ihrer Pike. Man erzählt sich allerlei Neuigkeiten und Begebenheiten, darunter häufig auch faustdicke Lügen, scherzt und albert herum.

„SO“ grollt Gisela. „JETZT GESCHÄFT. GISELA FÄNGT AN. MUSS ZEITIG HAUSE“.

„Kein Problem“ ruft Petra. Sie springt geschmeidig auf und faßt die Pike mit fester Hand, während Gisela einen riesigen, furchtbar rostigen Säbel schwingend auf sie zurennt.

„HA!“ „Aaaargh“ klängdotzplenker „Uuuuuh“ „Iiiiiiiiih“ brekkerbroxdengel! „Ääääärch“

Das geht schon ganz schön lang, aber man will das gar nicht genau wissen, weil man schnell durchschaut, dass es sich um ein relativ unmotiviert aufgeführtes Schauspiel handelt. Keiner der beiden zielt mit der jeweiligen Waffe auch nur halbwegs in die richtige Richtung und ohne jede Berührung, von Verletzungen ganz abgesehen, machen die beiden eine Menge Lärm.

„BOOOOAAAH“ grölt Gisela, „ICH ZIEHE MICH TAKTISCH ZURÜCK“. Sie wirft Petra ein paar Münzen und einen Brocken Graphiterz vor die Füße, nimmt eine Tüte mit den Stadtwaren, die Petra ihr mitgebracht hat, und tappelt tiefer in den Wald „FEIERABEND. BIS BALD“ rufend.

Bei den anderen Angehörigen des Goblin-Trupps läuft es ähnlich, bis zum Schluß Bernd antritt und leise Petra ins Ohr flüstert „DU, HEUTE IST BEI UNS ZUKUNFTSTAG UND ICH HAB MEINE TOCHTER MIT ZUR ARBEIT GEBRACHT“. Er winkt einem kugelrunden kleinen grünen Goblingirl, das nervös an einem Strauch zupft.

„Alles klar, Bernd“ zwinkert Petra und nach einer Reihe vorgetäuschter Schlagabtausche schreit sie „Oooohje, dieser attraktive Goblinkrieger ist ein oder zwei Nummern zu mächtig für mich. Ich ziehe mich besser taktisch zurück“!

Und sie packt ihren Lootsack und macht sich wehklagend davon, während das Goblinmädchen vor Stolz auf ihren Pappa so grün-rot wird, also irgendwie braun. Sieht aber nett aus und alle sind glücklich.

(Petra Fakt)

Die Sonne lehrt alle Lebewesen die Sehnsucht nach dem Licht. Doch es ist die Nacht, die uns alle zu den Sternen erhebt.

Khalil Gibran

(Amalthea)