11
Mrz

Frühlingserbrechen – Eine Kolumne der etwas anderen Art

   Posted by: Maddie Hayes   in Schlagzeilen

Was mag dabei herauskommen, wenn die Chefredakteurin und Kolumnistin Maddie Hayes letztere Rubrik einmal ihrer Andersweltfrau in Gänze überlässt? Das Experiment schien es wert, gestartet zu werden und hier nun das Ergebnis: Eine augenzwinkernde Kolumne der etwas anderen Art.

Meteorologischer Frühlingsanfang am 1. März. Voller Jubel, der Winter war lang und grau genug, hörte ich diese Meldung an eben diesem Tag bei strahlendem Sonnenschein morgens auf dem Weg zur Arbeit. Von jetzt an konnte es ja wohl nur noch besser werden, selbst im kalten und ungemütlichen, Dauerregen oder Dauerschnee gebeutelten hohen Norden des Landes. Die ersten Frühjahrsblüher zeigten sich hoffnungsvoll auch zu Beginn der, welch Wunder, noch immer sonnigen Woche, auch den ersten zurückkehrenden Zugvögeln, die ich, so bin ich überzeugt, am Wochenanfang über den Himmel ziehen sah, schickte ich in Gedanken ein herzliches Willkommen zu.

Da ja bekanntlich Sonne das Hirn dazu anregt, bestimmte Hormone auszuschütten, einige würden sagen, besonders bei Frauen würde mit den ersten Frühlingssonnenstrahlen eben jenes erst einmal aussetzen, fiel mein Blick auf den Kleiderschrank, woraufhin dieser dann auch prompt dem „Frühjahrsputz“ anheim fiel. Weg mit den eintönig gefärbten dicken Pullovern, her mit der farbe und den luftigeren Shirts! Da ich gerade so schön im Schwung war, entfernte ich auch die schon lang fällige Weihnachtsdeko von den Wänden und putzte den Kunstschnee von den Fenstern. Einige bunte Deckchen und bunte Tulpensträuße später hatte dann auch in der Wohnung der Frühling Einzug gehalten.

Wie schön, dass er wenigsten dort noch zu finden war, kramte ich doch am Donnerstag bereits wieder missmutig aus den Tiefen des Kleiderschrankes die dick gefütterte Winterjacke nebst Mütze hervor. Besser wurde es nicht, eher schlimmer. Freitag gegen Abend feierten dann fröhlich meine Handschuhe und die gestrickte Strumpfhose, die unter der Jeans verschwand, ihr Comeback, als ich mich bei leichtem Hagel auf den Weg zum Bahnhof machte.

Zu schade, dass es nachts doch zumeist sehr dunkel ist, so kam ich leider nicht in den Genuss zu sehen, wie ich dem Frühling entgegen fuhr, ein wenig stutzig allerdings machte es mich schon ein, als ich gegen 22.30 Uhr einige hundert Kilometer weiter südlich unter meiner Mütze zu schwitzen begann, die Handschuhe in die Manteltasche stopfte und bei Mitreisenden kurze Röcke, modisch mit hohen Stiefeln und zwar blickdichten, aber durchaus dünnen Strumpfhosen bewundern konnte. Knappe 150 Kilometer und anderthalb Stunden später dann freute ich mich, dass mein Mantel mit einem Reißverschluss auf die Welt gekommen war und ich diesen geöffnet lassen konnte.

Da hatte ich ihn nun also wieder, meinen Frühling! Am Samstag zelebrierte ich ihn dann auch ausgiebigst, holte meine Übergangsjacke, ja, sowas besitze ich tatsächlich, sie ist dünn und dennoch Wind- und Regenfest und mit abnehmbarer Kapuze und abnehmbarem Fellkragen ausgestattet, wovon ich auch gern Gebrauch machte, aus dem Schrank und genoss in hohen Segeltuchschuhen, dünner Jeans und ebensolchem Pullover zwar zugegeben keine Sonnenstrahlen, wohl aber relative Wärme.

Sonntag morgen, 10 Uhr, ich weigerte mich ein wenig, dem Wetterbericht Glauben zu schenken und wieder zur gestrickten Strumpfhose zu greifen, hatte aber auch ebenso wenig Lust, mich in einem wenig anheimelnden Zugklo in eben selbige unter Umständen hinein zu wurschteln. Prompt schwitze ich auch gegen Mittag auf dem Weg zum Bahnhof gehörig, auch wenn ich auf die Mütze, die Handschuhe und den geschlossenen Mantel verzichtet hatte. Zwar kitzelten durch das Zugfenster noch immer keine Sonnenstrahlen meine Nase, dafür aber sah ich ihn nun überdeutlich: hier war er, mein verloren geglaubter Frühling! Das erste Grün an den Bäumen, dazwischen in den Vorgärten die ersten Krokusse, Schneeglöckchen und Märzbecher, die stolz ihre Knospen öffnen. Nachdem ich diesen Anblick einige Zeit genossen hatte, schloss ich ein wenig die Augen, um dann ausgeruht mich dringend überfälliger Arbeiten zuzuwenden. Im Nachhinein muss ich zugeben, dies war wohl ein Fehler, denn als ich die Augen etwa 250 Kilometer von meiner Heimat, vor der aus ich gestartete, wieder öffne, war ich versucht, sie gleich wieder zu schließen. Keine Farben mehr, alles bedeckt mit der Trendfarbe der gefühlten vergangenen acht Monate, es war grau – weiß. Je weiter ich dem Norden entgegen fuhr, desto weißer wurde es und ich suchte einen anderen Platz im Abteil, der Wind, der durch die sich an den Bahnhöfen öffnenden Türen meinen Platz erreichte, wurde immer unangenehmer. 30 Kilometer vom Zielbahnhof entfernt hatte mich nun endgültig das Frühlingserbrechen gepackt. Es wehte ein eisiger Wind dicke Flocken in mein Gesicht, meine Handschuhe versagten. Es wurde noch schlimmer. Mit jedem zurückgelegten Kilometer gen Norden wurde die Schneedecke dichter, die Gräben zierten Schneeverwehungen. Auf dem Weg vom Bahnhof stapfte ich durch knöchelhohen Schnee, meine gerade angezündete Zigarette wurde vom dichten Schneetreiben fast gelöscht.

In der Wohnung begrüßen mich nun zwar ein paar unermüdliche Tulpen, die meisten allerdings lassen so sehr die Köpfe hängen, dass ich zu der Überzeugung gelange, sie haben ebenfalls Frühlingserbrechen. Auf dem Balkon Rauchen ist fast unmöglich, ich gehe den Besen suchen, damit ich überhaupt irgendwie den Boden wieder finde. In der Verzweiflung, in diesem Weiß etwas positives zu sehen, entdecke ich meine einstige Bierkiste, die jetzt optisch sehr viel von einem weich gepolsterten Hocker hat und vermute, der hübsch anzusehende Zuckerhut verbirgt in Wahrheit meinen Aschenbecher.

Nun könnte ich diese Kolumne schließen mit dem positiven Resümee, auch das Schlechteste hätte etwas Positives, wahlweise versuchen aufzuheitern, indem ich darauf hinweise, dass jeder Jahreszeit und Allem der Natur doch ein ganz spezieller Zauber inne wohnt, fühle mich aber weder zu dem einen noch dem anderen sonderlich angeregt, und drücke somit nur verhalten meine Hoffnung aus, dass sich mein Frühlingserbrechen bald möglichst legen mag und nicht zu ansteckend ist.

(MS)

This entry was posted on Montag, März 11th, 2013 at 09:59 and is filed under Schlagzeilen. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Responses are currently closed, but you can trackback from your own site.

Comments are closed at this time.