17
Dez

Das dritte Licht der Weihnacht

   Posted by: Liala   in Schlagzeilen

Sie kniff ein wenig die Augen zusammen, als sich an diesem Morgen die ersten Sonnenstrahlen in das Schlafzimmerfenster verirrten. War es tatsächlich schon so früh? Sie schwang die Beine aus dem Bett und setzte sich hin. Das Anziehen konnte sie sich immerhin sparen, hatte sie sich doch gestern in voller Montur hingelegt. Eine schlaflose Nacht… es war lange her, seit sie eine solche das letzte Mal verbracht hatte.

Aber all die Worte der Alten, das Erlebte… irgendwie hatte es sie nicht losgelassen. Völlig unvermutet hatte sie sich in einer Situation wiedergefunden, in der ein großer Teil ihres Selbstverständnisses auf den Kopf gestellt worden war. „Und das alles nur deswegen…“, dachte sie sich, als sie nun erneut auf die kleine Glaskugel mit den beiden brennenden Kerzen blickte. Jetzt, da die anderen beiden brannten, kamen ihr die beiden erloschenen Kerzen noch viel trostloser vor. Und doch – sie fand Hoffnung in dem festen Glauben, dass sie auch die anderen beiden Lichter der Weihnacht finden würde. Die Frage war nur: Wie?

Kurz schweiften ihre Gedanken zu der alten Frau ab, und… „Kenro…“, flüsterte sie unwillkürlich und erschrak sogleich vor ihrer eigenen Stimme. Oder doch eher vor dem Gedanken, der ihrer Stimme vorausgegangen war? Sie legte die Glaskugel neben sich auf die Bettdecke und legte ihr Gesicht in ihre Hände. Vielleicht könnte sie ja später an der Hütte vorbeigehen und sich nach seinem Wohlbefinden erkundigen? Da war schließlich nichts dabei, gestern Abend hatte er alles andere als gut ausgesehen. Und da die Dinge nun einmal so lagen, dass sie ihn aus dem Wald zurückgeholt hatte, war es ja geradezu ihre Pflicht, sich nach ihm zu erkundigen! Ja, so würde sie es tun.

Wie immer fühlte sie sich nun, da sie einen Plan hatte, besser. Und danach vielleicht ein kleiner Ausflug ins Winterland… Wo sollte man mehr über Weihnachten lernen können als dort?

Aufbruchbereit war sie schnell und als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, schlug ihr auch schon die eisige, trockene Kälte dieses Winters entgegen. Sie zog ihre Kapuze über die Ohren und stapfte den Weg zurück, den sie gestern Abend nach Hause gelaufen war. Noch einmal nach rechts, hier nach links, noch einmal, und dort, am Ende des Weges… Sie hielt vor der Tür inne, schlug die Kapuze wieder zurück und fuhr sich nervös mit den Fingern durch die Haare. Sollte sie klopfen? Oder vielleicht doch lieber –

„Lia, welch Freude!“, schallte es ihr entgegen, als Kenros Mutter die Tür öffnete. „Gerade wollte ich beim Nachbarn ein paar Eier holen. Bleibt Ihr zum Frühstück? Dann hole ich noch ein paar mehr!“ Mit geröteten Wangen lächelte sie Lia an. „Ähm… nun – eigentlich… ist er denn wach? Also…“, sie gestikulierte schwach in Richtung des Hauses. „Mein Junge? Nein, der schläft noch. Aber ich werde ihn gleich wecken, wenn Ihr also hier bleiben wollt?“ Wissend funkelte es in ihren Augen, so dass Lia noch tiefer errötete, wenn das denn möglich war.

„Nein nein, vielen Dank. Ich wollte noch, also… was… was suchen! Ja, genau. Ich wollte mich auf die Suche machen nach dem dritten… na Ihr wisst ja.“

Sie deutete auf ihre Tasche und die Alte nickte, als sie gestern noch lange gemeinsam am Tisch gesessen hatten, hatte sie ihr von der Glaskugel und der Nachricht erzählt.

„So so, auf die Suche wollt Ihr Euch machen. Aber wo denn? Doch nicht etwa wieder in diesem schrecklichen Wald?“

„Nein“, lachte Lia. „Nein, den Wald brauche ich erst einmal nicht mehr. Ich dachte an das Winterland… ein wenig rodeln, etwas Schlittschuh laufen – ich lasse es einfach auf mich zukommen.“

„Macht das, mein Kind, ich werde Kenro sagen, dass Ihr euch nach ihm erkundigt habt.“ Sie nickte Lia, die etwas Unverbindliches nuschelte, freundlich zu und wackelte dann in Richtung der Nachbarhütten davon.

Puh, gerade noch einmal entkommen! Sicher, irgendwie wollte sie ja… aber doch eher lieber nicht. Oder? Egal, der Spaziergang in die Winterwelt würde ihr und ihren Gedanken gut tun. Und tatsächlich, als sie schließlich vor den großen, weihnachtlichen Toren stand, waren alle Gedanken an gestern und… manche Personen gut und sicher verstaut.

Sie durchschritt die Tore und atmete tief die klare, frische Luft ein. Was ein herrlicher Tag! Was würde sie zuerst tun? Ein deutlich vernehmbares Grummeln ihres Magens gab ihr die Antwort. Hatte sie auf dem Markt nicht etwas von Buden gehört, die sich hier befinden sollten? Der perfekte Zeitpunkt, diese zu suchen, beschloss sie und stapfte fröhlich drauf los. Es dauerte nicht lange, bis sie die vielgepriesenen Buden endlich erreicht hatte. Ihr Magen knurrte erwartungsvoll, als sie an einem der Stände eine herrlich duftende Bratwurst kaufte. Hmmm! So etwas sollte es viel öfter geben. Sie nahm sich fest vor, später noch einmal wieder zu kommen, um auch die anderen Leckereien zu probieren. Sie wollte sich schon zum Gehen wenden, als sie noch einmal kurz inne hielt. Vorsichtig zog sie die Glaskugel aus der Tasche und blickte hinein. Sie schaute sich kurz um, nach rechts, nach links, keiner zu sehen. „Bratwurst?“, flüsterte sie, und kam sich mit einem Mal ziemlich albern vor. Leise kicherte sie. „Na so hätte ich dich auch nicht eingeschätzt!“, grinste sie der – natürlich! – immer noch erloschenen dritten Kerze zu und verstaute die Kugel wieder sicher.

Und nun: Schlittschuh laufen! Die Kerze würde schließlich nicht weglaufen. Sie folgte dem Pfad, den sie gekommen war, wieder zurück, bis sie schließlich an dem kleinen See ankam, den sie vorhin kurz gesehen hatte. Schnell die Schlittschuhe angeschnallt und schon stand sie mit wackligen Beinen auf dem dicken, stabilen Eis. Die ersten paar Runden waren noch etwas verhalten, doch nach den ersten Stürzen und blauen Flecken konnte sie sich langsam tatsächlich sicher auf den Beinen halten. Mittlerweile waren auch andere Simkeaner am See angekommen, die teilweise sehr gekonnt und elegant die wildesten Pirouetten drehten. Ein paar waren auch zu zweit gekommen und glitten Arm in Arm lautlos über das Eis. Ein leises Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Vielleicht würde sie ja auch bald wieder… Sie lachte kurz auf, als eines der Pärchen mit einem Mal auf dem Eis landete. Offenbar hatten sie sich nichts getan, sie lachten sich an und der Mann beugte sich herunter, um seiner Angebeteten einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Lia verharrte kurz, dann drehte sie um, schlitterte zum Eisrand und zog die Schlittschuhe wieder aus. Sie würde sie für die nächsten Läufer hier lassen.

Ein wenig ruhiger geworden schlenderte sie zum Rodelberg. Hatte sie nicht etwas vergessen? Oh nein, ihr Rodel! Den hatte sie gestern in der Eile ganz vergessen. Puh, dann würde sie wohl einen der Leihrodel nehmen müssen, von denen ihr am Markt berichtet worden war. Schade eigentlich, ihr eigener war doch so schön schnell…

Schließlich erreichte sie den Hügel, als ihre Beine ihr plötzlich den Dienst verweigerten. Ihr Inneres schien flüssig zu werden, als sie am Fuß des Berges eine ihr wohlbekannte Gestalt erblickte – mit ihrem Rodel! Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen und schloss ihn stumm wieder. Sollte sie auf ihn zugehen? Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als der Mann sich in ihre Richtung drehte, sie erkannte und grinsend auf sie zustapfte.

„Lia, richtig?“, lächelte er sie an. „Ich… ich… ja.“, hauchte sie und hoffte, neben ihrer Stimme auch einen weniger blöden Gesichtsausdruck zu finden. Schmeichelhaft war er anscheinend wirklich nicht, denn Kenro grinste sie schief an. „Ihr seht aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen.“ „Nein!“, warf sie schnell ein. „Nein, keinen Geist. Ich habe nur nicht erwartet, Euch hier zu sehen.“ Unbewusst malte sie mit ihrer Fußspitze kleine Kreise in den Schnee. Kenro deutete vage auf den Rodel. „Nun ja, meine Mutter berichtete mir, dass Ihr hier etwas suchen wolltet… und wer sich auf ins Winterland macht, sollte das nicht ohne Rodel tun. Also habe ich mich auf den Weg gemacht.“ Fröhlich zwinkerte er ihr zu. „So kann ich mich wenigstens ein klein wenig für Eure Rettungsaktion bedanken.“ Lia gestattete sich ein Lächeln, als sie in seine dunklen, grünen Augen blickte. Wie konnte jemand nur solche Augen haben? Und wie konnte sie nur so ewig hineinstarren? Hastig senkte sie den Blick, was ihn nun wieder zu einem Schmunzeln animierte. „Und, habt Ihr denn gefunden, was Ihr gesucht habt?“

Sie hielt kurz inne. „Nun, anscheinend habe ich etwas gefunden, auch wenn es nicht das war, was ich suchte. Oder doch?“ Fragend blickte sie ihn an. „Mich braucht Ihr da nicht fragen. Aber – was ist es denn, das ihr gefunden habt?“ Wieder ein Blick aus diesen wunderbaren Augen. Sollte sie es wagen?

Lia nahm ihren ganzen Mut zusammen, hakte sich bei Kenro unter und lächelte ihn an. „Für den Moment… Freude. Es ist schön, dass Ihr da seid.“ Er erwiderte das Lächeln, strich ihr leicht über die Wange und schlenderte mit ihr den Rodelberg hinauf.

Wäre zu diesem Zeitpunkt noch jemand zugegen gewesen, hätte er gesehen, wie das kleine Licht, das durch die Unterseite von Lias Rucksack schimmerte, kurz flackerte und dann heller als zuvor wieder erstrahlte.

This entry was posted on Montag, Dezember 17th, 2012 at 09:59 and is filed under Schlagzeilen. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Responses are currently closed, but you can trackback from your own site.

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