Geneigte Leser,
wer hätte es gedacht. Tatsächlich gelang es mir nun, nach vielen Irrungen und Wirrungen, den allseits bekannten Fabs in einem unvorsichtigen Moment zu erwischen und ihn mit mir zu zerren – alles natürlich im Dienste des Boten, um euch, werte Leser, endlich über den so oft bewundernd betrachteten Mantel des Schweigens zu unterrichten.
Nach einem Dunkelbohnentrank und einem Marmeladenbrot war der erste Ärger meines Gesprächspartners verflogen – zumindest so weit, dass er nun gewillt war, mir die ein oder andere Frage zu beantworten…
„Seid mir gegrüßt, werter Fabs, und ganz herzlichen Dank, dass Ihr Euch die Zeit für ein paar Fragen nehmt.“, setzte ich an und schob unauffällig den Teller mit den Marmeladenbroten ein wenig weiter in Fabs Richtung, sollte der Blutzucker noch nicht hoch genug sein. „Die erste gleich zu beginnen – ich habe schon viel munkeln hören, woher Ihr Euren Mantel wohl haben mögt. Klärt uns doch auf, wie seid Ihr an ihn gelangt?“
Verlegen zupfte er an selbigem. „Normalerweise dürfte ich ja nichts über besagtes Kleidungsstück verraten, aber nun werd ich es mal probieren.“ Er hielt kurz inne, überlegte es sich aber, trotz meiner Befürchtungen, nicht mehr anders. „Es gibt da ja diesen Spruch: Man braucht zwei Jahre um sprechen zu lernen und fünfzig, um schweigen zu lernen. Aus diesem Grund ersann ich diesen Mantel, der nun jedem, auch ohne fünfzig Lenze zu erleben, die Gelegenheit gibt, auch mal den Mund zu halten.“, lachte er. „Aber ich kann es wohl nur meiner langjährigen Erfahrung als Schneider verdanken, dass kein gewöhnlicher lumpiger Stoffumhang daraus wurde.“ Mit einem Schmunzeln spielte er am Saum des Mantels, der, wie ich zugeben muss, sehr ordentlich genäht war.
Den Anschluss suchend blätterte ich durch meine Unterlagen.
„Nun ist diese Bezeichnung, Mantel des Schweigens, doch recht irreführend.“, fuhr ich fort – froh, in meinem Zettelchaos die richtigen Fragen wieder gefunden zu haben. „Die meisten kennen einen solchen wohl eher metaphorischen Mantel, jedoch keineswegs als echtes Kleidungsstück. Ist sein Sinn und Zweck denn vergleichbar?“
Nachenklich kratzte sich Fabs am Kopf. „Hm, man kann ihn natürlich einfach als wärmendes Kleidungsstück verwenden. Doch seine Hauptaufgabe ist es, einen daran zu hindern, allzu viel Überflüssiges in die Welt zu plappern.“ Fast schien es, als wolle er noch etwas hinzufügen, doch bis auf ein Lächeln und einen fragenden Blick in meine Richtung wurde ich enttäuscht. Da musste es doch etwas zu lüften geben!
„Gibt es denn irgendwelche spannenden Geschichten, über die sich Euer Mantel in der Vergangenheit bereits legen konnte?“, fragte ich unschuldig, darauf bedacht, vielleicht doch das ein oder andere unvorsichtige Wort meines Gesprächspartners zu erwischen
„Es gibt da wohl schon einige Geschichten, aber wo käme ich da hin, dies jetzt zu erzählen.“, erwiderte er mit grimmigem Blick, der mich ein wenig zusammenzucken ließ. „Gelüftet wird dieser Mantel wohl erst nach meinen Lebzeiten.“
Einen letzten Versuch wollte ich noch wagen, wenngleich dieser wohl eher halbherzig war (Anm. der Redaktion: Redakteure mögen wagemutig sein, doch böse Blicke wissen sie mitunter tatsächlich zu deuten).
„Gibt es noch irgendeine Einzigartigkeit, eine Besonderheit, die Euren Mantel des Schweigens auszeichnet?“
„Ja das gibt es, er lässt einen besser zuhören.“, lachte er – womit er wohl Recht hatte. Meine Absichten waren jedenfalls eiskalt durchschaut worden.
Ich räusperte mich. „Vom Wert her, den er für Euch darstellt… glaubt Ihr, solch ein Mantel wird in Zukunft in noch mehr Kleiderschränken Einzug halten oder wird er eher ein Einzelstück bleiben?“
Ein leichtes Schmunzeln schlich sich auf sein Gesicht. „Scheigen ist ja eine wundervolle Sprache, die nicht jeder beherrscht. Es wäre aber schlimm, wenn sich nun der gesamte Marktplatz in Schweigen verhüllte, darum wird er wohl auch immer ein Unikat und in meinen Händen verbleiben.“
Einen schweigenden Markt mochte ich mir auch nicht so recht vorstellen, und so verabschiedeten wir uns und gingen unserer Wege.
Meiner führte mich, wie immer am Sonntag um diese Zeit, zurück in die Redaktion, wo ich nun sitze, und diese Worte für euch niederschreibe.
Ein Mantel des Schweigens – oft benötigt, zu selten gebraucht, doch sicher eine der sinnvolleren Einzigartigkeiten unserer Lande. Und wer weiß, wenn ihr besonders nett bittet, vielleicht gewährt euch Fabs dann auch einmal die Ehre, eine unrühmliche Begebenheit unter jenem Mantel zu verbergen.
Ich wünsche euch eine schöne Woche,
Lia