Geneigte Leser,
in dieser Woche galt es, die Vorstellung unserer fleißigen Bibliothekarinnen fortzusetzen. In Gedenken an mein letztwöchiges Gespräch mit Firunja hatte ich für diese Woche die Gebirgselfe Eisa ausgewählt.
Natürlich hatte ich mich vorher erkundigt, wo sie denn anzutreffen sei, und so konnte ich, wenn auch eine weite, so wenigstens eine gute vorbereitete Reise ins Adoragebirge in Angriff nehmen – am Schneehang sollte ich sie wahrscheinlich antreffen können.
Und so war es auch, kaum hatte ich das Gebirge getreten und das Schneefeld kam in Blick sah ich Eisa dort sitzen. Ihr Blick war zunächst auf den kleinen Hermelin, mit Namen Shi, wie ich später erfahren sollte, gerichtet, welcher etwas enfernt mit einigen Schneebällen spielte und zwischen den kleinen Verwehungen stöberte.
Als sie meine schneeknirschenden Schritte vernahm, drehte sie sich um, wartete geduldig, bis ich sie erreicht hatte und lächelte mit etwas kühlen Augen.
Außer Atem ließ ich mich neben ihr auf dem niedrigen Fels nieder.
„Seid mir gegrüßt, werte Eisa. Firunja hat Euch sicher informiert, dass ich kommen würde… zunächst einmal vielen Dank, dass Ihr Euch die Zeit für unsere Leser nehmt. Beginnen wir doch gleich – seit wann arbeitet Ihr an der Indstandhaltung der Bibliothek mit?“
Sie legte grübelnd ihre erstaunlich weiße Hand ans Kinn, ehe sie antwortete.
„Lasst mich überlegen… Ich begann schon recht früh, mich für die Bibliothek zu interessieren – fand ich dort doch viel Wissen über diese Welt.“ Sie unterbrach sich kurz und schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Meine anfänglichen Versuche, selbst einen Teil zur Ordnung zu leisten, waren jedoch noch sehr flüchtig und unerfahren. Als man dann begann und nach eifrigen Helfern suchte, war ich entschlossen, eine bessere Hilfe zu leisten. Somit… begann ich meine richtige Arbeit zu ungefähr jener Zeit…“ Ein gedankenversunkenes Nicken begleitete ihre Worte.
Ich war inzwischen wieder etwas zu Atem gekommen, merkte damit jedoch auch die Kälte. Während ich mein wohlweislich mitgebrachtes Wolfsfell aus meinem Rucksack holte, stellte ich die nächste Frage.
„Wie viel Zeit investiert Ihr denn durchschnittlich in diese verantwortungsvolle Aufgabe?“
Ein rätselhaftes Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Zeit ist eine irreführende Einheit für meine Arbeit.“ Ihr Blick schweifte über den malerischen Schneehain, über welchen in eben jenem Augeblick ein Windzug glitt. „Gibt es viel zu tun, kommt mein Eifer einem frischen Wind gleich. Die Informationen fallen mir wie von selbst zu und sind auch schon in zahlreichen Regalen eingeordnet, kaum dass wenige Wimpernschläge getan sind. Vielleicht die Magie meines Volkes, wer weiß…? Ist dagegen wenig zu tun oder sehe ich, dass nur wenig anfällt…“, sie seufzte kurz gequält, „hält es mich nicht lange in den dunklen Hallen. Ich strebe hinaus, um die Dinge, die ich mir sagen ließ, auch mit eigenen Augen zu bewundern.“ Sie legte den Kopf schief und fuhr murmelnd fort: „Es kam schon vor, dass mich meine guten Mit-Helferinnen vermisst glaubten – mich schon abschrieben. Doch der Wind trug mich zurück, als die Arbeit rief und Fleiß gefragt war.“
Ich lächelte ihr aufmunternd zu, immerhin hatte ich bisher nur Gutes über ihre Arbeit gehört.
„Wie empfindet Ihr die Zusammenarbeit mit Euren Kolleginnen?“
Ein Nicken, und schon folgte die Antwort: „Man versteht sich und weiß, die Dinge anzusprechen, die gesagt werden müssen. Firunja weist gern auf Fehler hin, wenn sie mir ab und an über die Schulter guckt. Mein Elfenstolz gesteht dies zwar nur ungern ein, doch bin ich ihr dankbar dafür. Nach Perfektion zu streben, lag mir seit jeher im Blut…“
Allmählich machte sich wohlige Wärme in mir breit und ich schlang das Fell ein wenig enger um mich. „Habt Ihr eigentlich manchmal Probleme, die Motivation aufrecht zu erhalten?“
Sie runzelte kurz die Stirn und grinste dann frech: „Natürlich. Ich bin motiviert, wenn ich die Arbeit sehe, die neuen Informationen, und ich meinen Spaß daran habe, sie kennen zu lernen und zu bearbeiten. Bleibt dagegen lange Zeit die Arbeit aus oder sind nur Feinheiten zu erledigen, zieht es meine Aufmerksamkeit in die Ferne der offenen Welt oder dieser kühlen, heimischen Hänge.“ Sie atmete deutlich genussvoll den Geruch des frischen Schnees ein, dem ich mich auch für einen kurzen Moment hingab.
„Gibt es irgendetwas an der Mitarbeit in den Hallen des Wissens, das Euch ärgert?“
„Zurzeit nicht.“, setzte sie an und dachte dann kurz nach. „…und sollte mir etwas einfallen, wäre ich so gerecht, es erst mit den anderen zu besprechen, bevor ich es aller Öffentlichkeit zumute.“ Erneut grinste sie mich frech an. „Das macht ein gutes Team doch aus, nicht wahr?“
Ich nickte zustimmend und musste leicht schmunzeln, natürlich dachte ich nicht an die Redaktion! „Wie erlebt ihr die Reaktionen der Bürger auf Euer Bemühen, Ihnen Wissen zugängig zu machen?“
„Reaktionen? Nunja, vor Kurzem ein Dank von MasterX oder ein zufriedenes Gefühl, wenn Fragende darauf hingewiesen werden, dass das Gefragte unlängst in der Bücherei zu finden ist… Aber wer stets die Anerkennung anderer braucht, um zu wissen, dass er seine Arbeit gut leistet, sollte sich des Wertes seines Schaffens neu bewusst werden.“ Sie beschloss diese Worte mit einem sanften Lächeln.
„Beeinflusst Eure Arbeit in der Bibliothek Euren Umgang mit unserer Welt, also wie Ihr sie seht?“ Fast konnte ich die Antwort schon erahnen, wenn ich ihrem Blick über die Landschaft folgte.
„Ich bin den weiten, offenen Blick über die Welt gewohnt. Viele Geheimnisse und Rätsel lüften sich, wenn man von erhobener Warte auf sie blickt. Dies ist die Art, wie ich Freude an meiner Umgebung finde. Ich fühle mich daher nicht beengt in den staubigen Hallen, wo es doch meiner Natur widerstreben müsste, mich dort aufzuhalten. Ganz im Gegenteil öffnen diese wissenden Bücher meinen Blick für die Details und ich wandere sehenden Auges durch Simkea, verstehe die Diskussionen der Bewohner und mache mir meine Gedanken. Für mich ist die Bibliothek auf diese Weise ein wahrer Gewinn der Lust an dieser Welt…“
Ich ließ diese Worte kurz auf mich wirken, ehe ich mit der nächsten Frage fortfuhr: „Habt Ihr einen persönlichen Wunsch für das weitere Fortbestehen der Bibliothek und unserer Welt im Allgemeinen?“
„Ich wünsche mir stets, dass vieles neu entsteht und mehr schillernde Facetten – wie die eines Eiskristalls… das Gesicht dieser Welt schmücken. Geplante Fortschritte sollten in Angriff genommen werden – nichts ist ermüdender als eine Welt, die sich nicht wandelt. Dass man leichter stolpert, wenn man schneller geht, ist gewiss. Aber die Bürger erfreuen sich an Mut und Schöpferkraft – ein Grund, der sie in diese Welt geführt hat. Ich wünsche mir daher vor allem Anderen, dass nicht die Gier nach Perfektion, sondern die Freude an Neuem wieder ganz die Gemüter der Menschen dieser Welt erfüllt.“
Unwillkührlich musste ich lächeln, besser hätte man dies wohl nicht formulieren können.
„Zu guter Letzt – Gibt es etwas, was Ihr den Bürgern Trents noch in persönlicher Sache mit auf den Weg geben wollt?“
Ihr Blick ging lächelnd in den klaren Himmel und ließ ihr Haar in einem erneuten, kalten Windzug wehen, der mich trotz Fell frösteln ließ. „Die Welt zu genießen, sich an Details zu erfreuen und stets Neues zu versuchen. Oft werden viele kleine Glücksmomente übersehen, weil man nur auf das große Glück hofft – und doch sind es am Ende die kleinen, erfreulichen Details, die flüchtigen netten Gesten, die das Leben am schönsten machen.“
Mein Zähneklappern ließ sich allmählich nicht mehr unterdrücken, nach den Freuden des Trenter Frühlings war ich solchen Temperaturen wohl nicht mehr gewachsen.
„Das war es schon, ich danke Euch vielmals für die Zeit, Eisa.“
Schon hatte ich mich erhoben, als sie sich ebenfalls verabschiedete.
„Da gibt es nichts zu danken, Liala.“ Ein kühles Lächeln glitt auf ihre Lippen. „Es war mir eine Freude, meine Gedanken zu teilen.“
Ich lächelt sie an, schulterte meinen Rucksack und machte mich auf den Rückweg. Als ich mich am Rand des Schneebergs noch einmal nach ihr umdrehte, blickte sie mir wohlgesonnen nach und hob noch einmal ihre feingliedrige, weiße Hand zum Abschied. Ich hob die meine ebenfalls und machte mich auf den Weg zurück – Zurück nach Trent.
Gehabt Euch wohl, werte Leserschaft, und seid gespannt auf nächste Woche.
Liala