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Sep

Kampfgeschichten

   Posted by: Amalthea   in Geschichten, Gedichte und Musikalisches

Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch das Blätterdach des Dämmerwaldes und zaubern komplizierte Muster auf den moosigen Boden. Ein übermütiges Eichhornpärchen jagt einander rund um den Stamm einer alten Eiche, kurz von einer Eule taxiert, die sich dann aber doch für die wohlverdiente Tagesruhe statt für den keckernden Snack entscheidet.

Doch was ist das? Auf dem verschlungenen Pfad, der aus den überschaubaren Ebenen des Umlandes in den Wald hineinführt ist ein überaus seltsames Wesen erschienen. Wenig größer als ein Rehkitz, von schmaler Statur, umspielt von einem wildgelockten, rotbraunen Haarbusch tritt die seltsame Besucherin in den kühlen, grünen Dom. Schnuppernd hält sie ihre sommersprossige Stupsnase in die Luft, schaut sich aufmerksam nach Spuren um. Was hat sie denn da in der Hand? Einen riesigen, spitzen Stock? Es ist eine Pike, bestimmt drei- oder viermal so lang wie sie selbst hoch ist, bewehrt mit einer mörderisch anmutenden Metallspitze.

Das, was dort so schwer bewaffnet in zu großen Stiefeln und über und über behangen mit Tränken und Ausrüstungsgegenständen die Ruhe des Forstes stört, hat einen Namen: Petra Fakt.

Petra Fakt? Ja, soll das denn ein Name sein? „Petrefakt“ sagt in irgendeiner fremdländischen, portaljenseitigen Sprache „aus Stein gemacht“. Ist denn diese junge Dame aus Stein gemacht? Natürlich nicht und dem Betrachter erscheint die Metapher angesichts ihrer mädchenhaften Erscheinung unpassend.

Doch still! Was ist das? Was bewegt sich da lautlos und geckoflink in den Schatten? Was späht aus gelben Katzenaugen durch dichtes Buschwerk? Als sich rund um Petra sehnige muskulöse, waldschattengrüne Körper erheben, wissen wir: Goblins!

Goblins – die eigentlichen Herrscher des Dämmerwaldes. Nichts von dem, was man über sie berichtet, läßt hoffen, dass wir mehr als Knochen und Kleidungsfetzen von Petra wiedersehen werden. Zur Flucht besteht keine Chance, denn die grünen Gesellen bilden jetzt einen dichten Ring um die kleine Pikenträgerin.

„PETRAAAA“ preßt die größte und massivste Gestalt knurrend hervor. Krude Ritzungen auf den wulstigen Bizepsen, Trizepsen und Quizepsen berichten von erfolgreichen Wildschweinjagden, siegreichen Kämpfen und dem schamlosen Treiben der Goblingötter.

„Gisela“ antwortet Petra fröhlich. „Wie gehts denn so?“

„ES GEHT GUT!“ knurrt die Goblin-Anführerin zurück. „MUSS JA!“

„Wen hast Du denn heute dabei?“ Petra schaut sich um. „Bernd, Uschi, Jürgen! Ihr habt aber auch nie frei, was?“ Die Angesprochenen winken kichernd ab.

„Also, ich hab heute folgende Bestellungen …“ Petra liest aus ihrem Notizbuch ab. „soundsoviel Graphiterz, ein paar Würfel wären nett, hat jemand alte Blechdosen?“ Sie kramt in ihrem Rucksack „Und hier die versprochenen Gummibären – ihr dürft das wirklich nicht übertreiben, die extragehärtete Hornhautfeile für Uschi, Bernd, dein Magazin „Der kleine Hobbyschnitzer“, für Gisela, Moment, ein Spinnenseidennegligé und ein Banjo für Pascal. Kann jemand das Banjo für Pascal mitnehmen? Und dann noch …“

Nachdem alle Mitbringsel verteilt sind, setzt sich die ungewöhnliche Gruppe um ein Feuerchen und Petra grillt Tofuwürste für alle auf ihrer Pike. Man erzählt sich allerlei Neuigkeiten und Begebenheiten, darunter häufig auch faustdicke Lügen, scherzt und albert herum.

„SO“ grollt Gisela. „JETZT GESCHÄFT. GISELA FÄNGT AN. MUSS ZEITIG HAUSE“.

„Kein Problem“ ruft Petra. Sie springt geschmeidig auf und faßt die Pike mit fester Hand, während Gisela einen riesigen, furchtbar rostigen Säbel schwingend auf sie zurennt.

„HA!“ „Aaaargh“ klängdotzplenker „Uuuuuh“ „Iiiiiiiiih“ brekkerbroxdengel! „Ääääärch“

Das geht schon ganz schön lang, aber man will das gar nicht genau wissen, weil man schnell durchschaut, dass es sich um ein relativ unmotiviert aufgeführtes Schauspiel handelt. Keiner der beiden zielt mit der jeweiligen Waffe auch nur halbwegs in die richtige Richtung und ohne jede Berührung, von Verletzungen ganz abgesehen, machen die beiden eine Menge Lärm.

„BOOOOAAAH“ grölt Gisela, „ICH ZIEHE MICH TAKTISCH ZURÜCK“. Sie wirft Petra ein paar Münzen und einen Brocken Graphiterz vor die Füße, nimmt eine Tüte mit den Stadtwaren, die Petra ihr mitgebracht hat, und tappelt tiefer in den Wald „FEIERABEND. BIS BALD“ rufend.

Bei den anderen Angehörigen des Goblin-Trupps läuft es ähnlich, bis zum Schluß Bernd antritt und leise Petra ins Ohr flüstert „DU, HEUTE IST BEI UNS ZUKUNFTSTAG UND ICH HAB MEINE TOCHTER MIT ZUR ARBEIT GEBRACHT“. Er winkt einem kugelrunden kleinen grünen Goblingirl, das nervös an einem Strauch zupft.

„Alles klar, Bernd“ zwinkert Petra und nach einer Reihe vorgetäuschter Schlagabtausche schreit sie „Oooohje, dieser attraktive Goblinkrieger ist ein oder zwei Nummern zu mächtig für mich. Ich ziehe mich besser taktisch zurück“!

Und sie packt ihren Lootsack und macht sich wehklagend davon, während das Goblinmädchen vor Stolz auf ihren Pappa so grün-rot wird, also irgendwie braun. Sieht aber nett aus und alle sind glücklich.

(Petra Fakt)

This entry was posted on Donnerstag, September 1st, 2022 at 09:53 and is filed under Geschichten, Gedichte und Musikalisches. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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