Es war wie ein Wunder. Zitronello war nach einer unruhigen Nacht früh aufgestanden. Er hatte Vorahnungen, irgendetwas würde passieren. Es hatte nicht daran gelegen, dass er in seinem Haus, einem kleinen Reisewagen, noch kein Bett hatte. Auf der neuen Strohmatratze, die mit einem Laken, Kissen und Bettdecke gemütlich eingerichtet war, hatte er schon einige gute Nächte verbracht.

Nachdem er sich gewaschen und angezogen hatte, trieb ihn eine innere Unruhe hinaus in die Stadt. Auf dem Trenter Marktplatz erfuhr er dann die Neuigkeit, dass diesmal nicht wie sonst üblich, eine Person den Weg nach Simkea gefunden hatte, sondern gleich eine Großfamilie, zusammen mit ihren Wagen, Pferden, Haustieren, Kind und Kegel. Das alles klang ihm so seltsam vertraut, dass es ihm weh tat. War er doch früher in der alten Welt auch mit einem Wagen und seiner Sippe durch das Land gezogen. Sie hatten niemanden gestört, waren von Stadt zu Stadt gezogen, hatten dort
ihre Vorstellung gegeben: Einfach Zaubertricks, ein bisschen Jonglieren, Musik spielen und Lieder singen, die von Fernweh, Freiheit und Abenteuer erzählten. Auch wenn sie als Fahrende immer ein wenig misstrauisch betrachtet wurden, gab es doch viele Vorteile gegenüber den Städtern, Zitro hatte das Leben immer genossen. Es ließ ihn kalt, wenn die Leute behaupteten, seine Leute würden kleine Kinder stehlen, die Jungfern der Dörfer verführen und überhaupt Unglück bringen. Er kannte die Wahrheit: Sie nahmen manchmal Kinder auf, Waisenkinder, die keine Zukunft mehr hatten und was das Verführen der Frauen anging, so waren die Männer seiner Sippe nicht anders als die Männer in den Dörfern und Städten und Unglück? Immer wurde für ein Unglück ein Schuldiger gesucht und wer bot sich da an? Die Fremden, die man nicht kannte, denen man misstraute. Er wusste aber auch, dass die Stadtmenschen die Fahrenden beneideten, denn sie führten ein Leben in Freiheit und waren unabhängig, konnten ihrem Fernweh im Gegensatz zu den Städtern nachgeben. Und wen man beneidete, den bedachte man auch mit vielen Vorurteilen. Aber das war ihm immer egal gewesen, denn er kannte die Wahrheit: Sie brachten den Städtern ein Hauch von weiter Welt, von Sehnsüchten und Hoffnung, ein leichtes Gruseln, vermischt mit Spannung und Unterhaltung. Sie brachten den Städtern ein wenig Glückseligkeit und Ablenkung vom tristen Alltag.

Das war wohl etwas, was die neuen Herrscher nicht ertragen wollten. Eines Nachts, als Zitros Familie auf den Rest der Sippe wartete, wurden sie von Dämonen überfallen und vollkommen niedergemetzelt. Nur Zitro überlebte, weil – ja weil er sich vorher den Wald geschlichen hatte, um ein neues Liebeslied zu dichten, mit dem er in der nächsten Stadt ein hübsches Mädchen betören konnte. Als er zurückkam, fand er nur noch die brennenden
Wagen und die Leichen seiner Eltern, Geschwister und der anderen Verwandten. Die Angreifer hatten noch ein Schild aufgestellt als Warnung für alle „ Aufrührer“ und „ Vagabunden“ und dass man sie alle in dieser Nacht ausgelöschen würde. So begrub Zitro seine Verwandten und zog als gebrochener Mann von dannen. Er arbeitete mehr oder weniger willenlos im Alchemielabor eines Steinbruchs und wäre dort sicherlich elendiglich verreckt, wenn ihn
nicht plötzlich eine Beschwörung von dort nach Simkea gerissen hätte. Hier legte er seinen alten Namen ab und nahm den Namen desjenigen an, der ihn hierher beschworen hatte: Zitronello, der Schneemann, der gleichzeitig wieder in sein altes Land zurückgekehrt war.

Er richtete sich hier in Simkea ein, fand neue Bekannte und auch Freunde und hatte mit seinem alten Leben abgeschlossen. Auch wenn er den Tod der ganzen Sippe nicht gesehen hatte, er ging davon aus, dass alle aus der Sippe tot waren. Sie waren immer in drei Gruppen gezogen: Sein Großvater als der älteste und Sippenvorstand mit seiner Familie in einer Gruppe, dessen Neffe Rokko mit Familie in der zweiten, der dritte Bruder des Großvaters
mit seiner Familie in einer dritten. Das war so Tradition und man traf am Zielpunkt immer wieder zusammen. Und da in der Nacht des Schreckens die anderen Gruppen nicht eingetroffen waren, ging Zitro davon aus, dass sie vorher schon getötet worden waren.

Aber natürlich war er neugierig, wer da nun angekommen war. Leute mit Wagen, das klang wie Fahrende, auch wenn das nicht sein konnte. Zitro ging vor die Tore der Stadt und sein Herz blieb beinahe stehen, als er die vertrauten bunt bemalten Wagen erkannte: Es waren tatsächlich die Wagen seines Großonkels Rokko, der zweitälteste Vetter seines Vaters. Wie von Sinnen stürzte Zitro dorthin und wurde genauso überrascht empfangen, wie er selbst
überrascht war. Offenbar war Großonkel Rokko mit seiner Familie nicht, wie Zitro vermutet hatte, den normalen Weg zum gemeinsamen Treffpunkt genommen, wo die Feinde gewartet hatten. Großtante Marga hatte einen Wahrtraum und so zog die Familie über einen anderen Weg weiter und mied so die Falle. Sie ließen sich danach ganz von Großtante Marga führen und blieben in der Wildnis, nachdem ihr Kundschafter erfahren hatte, dass der Rest der Sippe tot war. Das war inzwischen in den Dörfern schon längst bekannt geworden. So zogen sie immer weiter durch die Wildnis, die Dörfer und Städte meidend, bis eines Abends sich ein magisches Portal bildete. Großonkel Rokko entschied, das Wagnis einzugehen. Durch ein unbekanntes Portal zu fahren schien ihm immer noch besser, als sein Leben lang auf der Flucht zu sein und irgendwann doch gestellt zu werden. Und so kamen
sie mit Mann und Maus nach Simkea. Da Großonkel Rokko, der Sohn von Zitros Großvater, nun der älteste der Sippe war, wurde er
automatisch das neue Sippenoberhaupt. Da Zitro sich in Simkea aber aus kannte, fragte er seinen Neffen um Rat. Und während ein großes
Fest vorbereitet wurde, berieten sich Rokko, dann dessen Sohn, Zitros Vetter Garo und Zitro, wie es nun weitergehen sollte.

(wird fortgesetzt)

(Zitronello)

This entry was posted on Dienstag, März 6th, 2018 at 09:40 and is filed under Bürger hautnah, Geschichten, Gedichte und Musikalisches. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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