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Feb

Fortsetzungsroman von Dicke Fee, 2. Folge

   Posted by: DickeFee   in Es war einmal...

Der Zirkus

„Eleonora, Eleonora!“, Isabell lief ihr mit roten glühenden Wangen, aufgeregt entgegen. „Eleonora, die Gaukler kommen!“ Isabell stoppte, beugte sich nach vorne, legte die Hände auf die Knie und atmete schwer. Eleonora lächelte. Isabell war ihre beste Freundin, ein Jahr jünger als Eleonora mit ihren 15 Jahren und eigentlich ihr Gegenstück. Während Isabell die Tochter eines Händlers war, klein, etwas rundlich, mit blonden Haaren, war Eleonora groß, schwarzhaarig und Tochter zweier Bauern. Ihr Vater war schon vor langer Zeit gestorben und der Hof ernährte sie und ihre Mutter mehr schlecht als recht, eigentlich hatten Isabell und Eleonora wenig miteinander gemein, aber seitdem sie beide laufen konnten, gingen sie durch dick und dünn, wie eine Schwester liebte sie Isabell. Eleonora lachte Isabell an: „Isabell, was ist denn los?“ „Gaukler Eleonora, Gaukler sind auf den Weg in das Dorf.“, sie strahlte übers ganze Gesicht und stellte sich wieder aufrecht hin. Isabell strich sich ihr blaues Kleid mit der weißen Schürze glatt, fuhr sich durchs Haar und sah Eleonora mit großen Augen an: „Geh mit mir zum Zirkus Eleonora, bitte.“, flehte sie. „Ich war noch niemals in einem Zirkus und ich möchte, dass du mit mir kommst.“ Eleonora seufzte: „Isabell, für solch Kindereien haben Mutter und ich kein Geld. Die Ernte war nicht gut, das Wetter zu trocken. Ich kann Mutter nicht um Geld für den Zirkus bitten.“ Isabell nahm ihre Hand und drückte 2 Kupferstücke hinein. „Ich möchte, dass du mit mir zum Zirkus gehst und wenn ich dir dafür mein Geburtstagsgeld geben muss, dann tue ich das.“ Eleonora wusste, dass sie jetzt nicht mehr nein sagen durfte und das Geld annehmen musste, also lächelte sie, nahm Isabell in den Arm und flüsterte: „Wir gehen in den Zirkus!“, in das Ohr Isabells. „Isabell, ich muss noch zum Markt, Magda ein paar Äpfel bringen, kommst du mit?“
So gingen sie nebeneinander zum Markt, um die Äpfel aus Eleonoras Korb der Freundin ihrer Ziehmutter zu bringen.
Eleonoras hatte schon früh erfahren,  dass sie ein Findelkind war. Jeder der im Dorf Altamor wohnte war blond, Eleonora hatte jedoch pechschwarzes Haar. So kam es denn, dass sie ihre Eltern mit nicht mal 4 Jahren fragte, warum dies so sei und ihre Zieheltern ihr von dem verhängnisvollen Abend erzählten. „Es war eine klare Nacht, als es an der Tür klopfte.“, so begann ihre Mutter immer: „ Eine Frau von großer Statur stand vor unserer Tür, ihr Gesicht war unter der roten Kapuze ihres Umhangs verborgen, aber ihre Stimme war die einer Frau. Sie drückte mir ein Baby in den Arm und nannte mir deinen Namen und dass ich mich um dich kümmern solle. Dann gab sie deinem Vater einen Beutel mit Silbertalern und verschwand in der Nacht.“ Eleonora hatte diese Geschichte so oft schon gehört und obwohl sie manchmal wünschte, sie hätte Isabells Unbesorgtheit, ihre schönen Kleider oder den Hauslehrer, so konnte sie sich nicht beklagen. Sie war mit viel Liebe aufgewachsen und während Isabell ihren Vater oft missen musste, war Eleonora bis zum Tod ihres Vaters keinen Tag ohne ihre beiden Eltern gewesen. Gedankenverloren strich sie über ihr graues, an vielen Stellen schon geflicktes Kleid, die Schürze hatte auch schon bessere Tage gesehen, aber Kleidung und Schuhe waren einfach zu teuer, jetzt wo ihre Mutter auch noch krank geworden war und Eleonora genug Sorgen hatte, den Hof zu bewirtschaften. Sie blickte Isabell an und nahm sich fest vor mit ihr in den Zirkus zu gehen. Das hatte sie sich wahrlich verdient. Ein paar Stunden Frohsinn und Zerstreuung würden ihr gut tun und ihre kranke Mutter würde dies begrüßen.
Als sie den Marktplatz über den unbefestigten Weg erreichten, da sahen sie fast das ganze Dorf darauf stehen. Die Menschen tuschelten und drängten sich um einen dicken, großen Mann mit Schnauzbart und Zylinder herum, der erhöht auf einer Kiste stand. „Meine Damen und Herren, liebe Kinder, außerhalb von Altamor steht ein Zirkus wie ihn sonst nur hohe Herrschaften zu sehen bekommen. Wir haben Akrobaten, Gaukler, eine Magierin und einen wilden Bären. Besuchen sie unsere Vorstellung! Heute bei Sonnenuntergang werden wir euch ins Reich der Phantasie entführen. In eine Welt, jenseits eures Vorstellungsvermögens.“ Er verbeugte sich tief, wobei er vorher seinen Hut abnahm und im weiten Bogen schwang. Dann stellte er sich wieder auf, setzte den Hut auf den Kopf und verließ den Marktplatz. Die Menschen um Isabell und Eleonora tuschelten noch lange Zeit miteinander, Isabell flüsterte ein: „Bis heute Abend. Bitte komm.“, in Eleonoras Ohr und machte sich auf dem Heimweg. Eleonora ging zu Magdas Stand, übergab ihr die Äpfel und freute sich über das gerupfte Huhn, das sie von Magda erhielt. „Mach deiner Mutter eine schöne Hühnersuppe davon Eleonora, dann geht es ihr bestimmt bald besser. Und grüß sie von mir.“. Sie winkte Eleonora noch zum Abschied und wandte sich dann wieder der Kundschaft zu.
„Mutter, ich mache mich jetzt auf den Weg. Ich bin bald zurück.“ Eleonora schlug noch mal die Kissen ihrer Mutter auf, die bleich und fiebrig im Bett saß. Ihre Mutter nickte schwach: „Mach dir keine Sorgen Eleonora.“, flüsterte sie leise und tätschelte dabei Eleonoras Hand. „Geh!“, sie atmete tief ein und ein schwerer Husten erschütterte sie fast unmittelbar danach. Eleonora war besorgt. Wenn ihre Mutter hustete, waren danach kleine rote Blutsprenkel auf der Bettwäsche zu sehen und sie befürchtete zu Recht, dass dies kein gutes Zeichen war und ihrer Mutter es wesentlich schlechter ging. Mit großer Besorgnis im Blick wand sie sich von ihrer Mutter ab und verließ den Hof in Richtung des Zirkuszeltes. Dort angekommen, wartete Isabell schon aufgeregt auf sie. „Nun werde ich endlich einen Zirkus erleben. Papa hat mir schon soviel vom fahrenden Volk erzählt. Sieh nur das bunte Zelt, sieh nur die Fackeln…“ Eleonora hörte Isabell nicht mehr zu. Sie lächelte über deren Frohsinn, war aber weit weg mit ihren Gedanken, sobald sie bezahlt hatten und durch das Zirkuszelt traten. Der Geruch nach Holzspänen stieg ihr in die Nase, nach Freiheit und Frohsinn und irgendwie hatte sie das Gefühl nach Hause gekommen zu sein. Verwirrt hielt sie inne. Ein Jongleur kam auf sie zu. Er warf vier Bälle nacheinander in die Luft und ließ sie durch die Luft kreisen. Als er Eleonora erblickte, fing er alle Bälle in seinen Händen auf, verbeugte sich und sah sie freudig strahlend an: „Guten Abend Eleonora, wir haben uns lange nicht gesehen. Groß und schön bist du geworden.“, er zwinkerte, warf die Bälle erneut einzeln in die Luft und wanderte weiter seines Weges. Eleonora war verwirrt. Was hatte der Gaukler gesagt? Woher kannte er ihren Namen? Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um und sah ihm nach. Vielleicht hatte sie sich geirrt. Das konnte nicht sein. Sie sah sich nach Isabell um und entdeckte sie auf einer Holzbank nahe der Manege. Isabell sah begeistert zu ihr hinüber, klopfte rechts neben sich und rief: „Komm Eleonora, komm. Die Vorstellung beginnt gleich.“
Die Menschen im Zelt waren begeistert. Es gab einen Bärenbändiger, Gaukler, Jongleure, einen Feuerspucker, doch Eleonora nahm dies alles nicht recht war. Im Gedanken war sie immer noch bei ihrer Mutter und auch der Gaukler ließ sie nicht los. Dann trat der Direktor in die Manege: „Meine Damen und Herren, liebe Kinder, es gibt einige Welten, jenseits unseres Seins, Welten ähnlich der unseren und Welten, deren Ausmaß wir nicht mit unseren Sinnen erfassen können. Jemand, der all diese Welten zu durchwandern vermag, ist hier in diesem Zirkus. Lassen sie sich von uns verzaubern, sehen sie ihre magischen Kräfte wirken. Hier ist unsere Magierin: Almatea!“, unter Applaus trat die Magierin in die Manege und Eleonora schaute auf. Die Frau trug rote Lederstiefel, eine graue Hose, eine weiße Tunika und einen roten Umhang mit Kapuze. Dieser Umhang , die Tatsache, dass sie rabenschwarzes Haar hatte und von großer Statur war, ließen Eleonora den Atem anhalten und erschaudern.
„Für meine Vorstellung brauche ich einen Helfer.“ Sobald Almatea sprach, zog sie alle in ihren Bann. Aus unerklärlichen Gründen war diese Frau Eleonora vertraut, obwohl sie sich sicher war, diese noch niemals in ihrem Leben gesehen zu haben. Almatea kam auf sie zu und zeigte auf sie, Eleonora. Sie atmete heftig aus, schaute ungläubig auf die Frau, tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust und verzog ihr Gesicht. „Ich?“, fragte sie ungläubig.
Almatea nickte: „Du!“ Ein Liliputaner kam und half Eleonora in die Manege. Almatea stellte sich neben sie und rief ins Publikum:“ Meine Damen und Herren, liebe Kinder, ich werde nun mit meiner Helferin verschwinden.“ Sie warf ihren Umhang über sie beide und ehe Eleonora sich versah, waren sie in einer dunklen, kleinen Kammer die, bis auf sie beide, leer war. Durch das Fenster schien der Mond leicht hinein, aber was dort draußen war, vermochte Eleonora nicht zu erfassen. Sie schaute Almatea an. „Eleonora, wie groß du geworden bist.“, Almatea lächelte mild. „Wir haben nicht viel Zeit, höre mir genau zu. Du bist in Gefahr! Meide sich spiegelnde Oberflächen! Jemand versucht einen Weg zu dir zu finden. Lass sie dich nicht fangen, oder unsere Welt ist verloren.“ Almatea hielt sie an den Schultern fest und sah ihr tief in die Augen. „Lass nicht zu, dass so viele Menschen umsonst gestorben sind.“, dann warf sie wieder ihren Umhang um Eleonora und beide waren zurück in der Manege.
Eleonora stockte der Atem. Konnte das alles grade wirklich geschehen sein? Die Menschen klatschten Beifall, als wären sie beide wirklich verschwunden gewesen. Eleonora wankte zu ihrem Platz zurück, geführt von dem kleinen Liliputaner. Als sie sich setzte, beugte er sich leicht zu ihr vor und flüsterte: „Meide sich spiegelnde Oberflächen!“ Eleonora war ganz benommen, schaute verwirrt zu ihm, aber er war schon verschwunden. „Eleonora, das war fantastisch. Eben warst du noch da und plötzlich, mit einem Knall und viel Rauch, verschwunden. Wie habt ihr das gemacht?“, Isabell war furchtbar aufgeregt und hätte zu gerne von Eleonora erfahren wie das Ganze vonstattengegangen war, aber da ging die Vorstellung schon weiter. Eleonora saß jedoch da und bekam von dem Rest der Vorstellung nichts mehr mit. Sie kaute nervös an ihrer Unterlippe und fragte sich, was dort grade eben geschehen war und wieso sie das Gefühl hatte, ihr Leben würde niemals mehr dasselbe sein.

(im Archiv gefunden und entstaubt von Xanthy)

This entry was posted on Dienstag, Februar 28th, 2017 at 09:35 and is filed under Es war einmal.... You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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